Joanna Turbowicz

„ Ich habe viele Jahre meines Lebens damit verbracht, meinen Platz zu suchen – bis ich erkannt habe, dass es keinen passenden für mich gibt. Ich bin eine katholische Jüdin, in Polen aufgewachsen, mit deutschem Pass. Und beruflich? Ich war Regieassistentin, Reisereporterin, Stylistin, Requisiteurin, Journalistin und Autorin. Mein Platz ist zwischen den Stühlen. Mittlerweile bin ich stolz darauf. Und fast tun mir die Menschen leid, die ihr ganzes Leben auf einem Stuhl festgenagelt verbringen.“
Joanna könnte man wirklich als ein besonderes sozialwissenschaftliches Phänomen betrachten. Sie selbst sagt über sich: „Ich bin ein kariertes Maiglöckchen“. Doch das war nicht immer so. Als einmal in der Schule ein jüdischer Klassenkamerad zu ihr sagte: „ Du bist doch selber Jüdin. Du hast Verwandte in Israel“, erwiderte sie: „So ein Quatsch! Ich bin Polin und Katholikin!“. Damals war ihre Antwort voller Überzeugung und ungelogen, so dachte sie jedenfalls.

Joanna Turbowicz wuchs nach dem Zweiten Weltkrieg in Warschau auf, sie feierte Ostern und Weihnachten, ging sonntags in die katholische Kirche und ahnte nicht einmal, dass ihre Eltern jüdischen Ursprungs sind. Wie in den meisten Familien, war es auch in ihrer üblich, nicht über den Krieg und die damaligen Geschehnisse zu sprechen. Und da man gesehen hat, wie weit Antisemitismus reichen kann, haben Joannas Eltern versucht, ihre Tochter davor zu bewahren, indem sie sie in christlicher Tradition erzogen. Es hat Joanna auch nicht weiter gewundert, dass ihre Eltern viele jüdische Freunde und Kollegen hatten. In der intellektuellen Welt, in der sie lebten, gehörte es eben dazu.

Joannas Emigrationsgeschichte begann mit dem Haftbefehl gegen ihren Vater. Unter dem kommunistischen Regime war es manchmal sehr gefährlich in der Filmbranche zu arbeiten, dies musste Joannas Vater am eigenen Leib erfahren. Er soll etwas Geheimes gefilmt haben, und deshalb verhaftet werden. Doch er war schon weg, als die Polizei vor der Tür stand. Er ist dank der Hilfe der Amerikaner mit einem gefälschten Pass nach Frankfurt am Main geflohen.

Drei Jahre später beantragten Joanna und ihre Mutter die Papiere für eine Auswanderung nach Israel. Doch sie kamen nur bis nach Wien, dort mussten sie noch ein Weilchen auf die Papiere warten, mit denen sie nach Deutschland reisen konnten. Darum hat sich derweilen Joannas Vater gekümmert. Und am 24.12.1962 war es so weit. Joanna und ihre Mutter fuhren nach Frankfurt – die Familie war wieder vereint.
Die ganze Wahrheit kam ans Licht, als Joannas Vater gestorben ist. Da lebte Joanna längst in München, war verheiratet und hatte einen Sohn. In seinem Nachlass fanden sich die Briefe, die Joannas Mutter während der dreijährigen Trennung ihrem Mann geschrieben hat.

Schwarz auf weiß stand vor Joannas Augen: Ihre Mutter hatte tatsächlich einen Cousin, der in Israel lebte. Ihre Mutter war also Jüdin, demnach Joanna auch. Und das wurde ihr bewusst verheimlicht. Es traf die katholische Polin wie ein Schlag ins Gesicht! Selbstverständlich löste diese Neuigkeit einen Identitätskonflikt aus. Joanna hat mehrere Jahre gebraucht, um damit fertig zu werden. Heute geht es ihr gut damit. Der jüdische Klassenkamerad hatte also Recht: Sie ist – auch – Jüdin und sie hat auch Verwandte in Israel.